Elkadi II
Auf der Reise durch die DDR-Trakehner-Gestüte, die 1991 von Karl Wilhelm organisiert wurde, konnte ich zu meiner Freude feststellen, dass die Vaterlinie des Cancara sich hier noch erhalten hatte. Die Linie des legendären Hauptbeschälers Trakehnens, den man wegen seiner Blut gepägten Genetik (Master Magpie xx-Nana Sahib x-Elwin-Friponnier xx) fast als Angloaraber ansehen könnte, wurde über den Sohn Altsilber (ehemals Landbeschäler in Braunsberg) fortgesetzt. Der frühere Marienwerder Landbeschäler Altgesell v. Altsilber war gerettet worden und gehörte nach dem Krieg zum Hengstbestand von Redefin und Moritzburg. In sagenhaften 29 Jahren Zuchtnutzung zeugte er fünf gekörte Hengste und 25 eingetragene Stuten in der Reinzucht. Zwei seiner Söhne waren zu der Zeit noch zuchtaktiv: der Dunkelfuchs Humbert in Kölsa und der Schimmel Falstaff in Redefin. In der Stutenherde Ganschows fielen mir bei jenem Besuch besonders zwei Schimmelstuten auf. Die Töchter Falstaffs waren Vollschwestern. Nach kurzer Verhandlung mit dem Gestütsleiter Hartmut Platzek konnte ich Ebina und Eboline erwerben. Die Stuten waren schon alt (Jahrgang 1975 bzw. 1973) und die züchterische Ausbeute dann doch leider nur gering. Was aber zu diesem Kauf führte war, neben dem Erscheinungsbild der arabisch geprägten Stuten, die hochinteressante, leistungsversprechende Abstammung.
Die 1938 geborene Fuchsstute Elba v. Sand (ein Parsival-Enkel), weiter Xenophon-Edelwild-Golf zog den Treckwagen der Züchterfamilie Georg Czylwiks bei Kriegsende aus dem masurischen Dorf Markau bis nach Mecklenburg. Trotz der harten Bedingungen nach dem Krieg konnten drei Töchter der Elba ins Stutbuch eingetragen werden. Auch heute noch wird diese wertvolle Familie in Ganschow gepflegt. Relevant für die Abstammung Elkadis ist die braune, 1951 geborene Sabina v. Sabiner (über den in Trakehnen gezogenen Saturn der Waldjunker-Linie angehörend), die mit dem Fuchshengst Tertzky (Vollbruder des Abglanz-Vaters Termit) die Stute Albafürstin brachte. In der weiteren Zuchtnutzung in Ganschow mit dem polnischen Rapphengst Tower (Linie des Trakehner Hauptbeschälers Polarstern) folgte die Rappstute Elbana, die wiederum mit Falstaff die beiden einzigen eingetragenen Töchter Eboline und Ebina brachte. Die sehr typvolle, gangstarke Fliegenschimmelstute Eboline war absolut passend zu Trafaret. In achtjähriger Folge brachte sie von diesem Hengst acht Fohlen. Das erste war die spätere Staatsprämienstute Edelmut.
In den nächsten Jahren kamen dann sieben Hengste, die der damaligen Tradition folgend Elkadi I bis VII genannt wurden. Einer der acht Vollgeschwister war der 1983 geborene Hengst Elkadi II. Das Hengstbuch beschreibt ihn so:
Ein mittelrahmiger Trakehner Hengst mit besten Reit- und Fahreigenschaften. Er ist in den Vordergliedmaßen gut fundamentiert und verfügt über schwungvolle Bewegungen im Trab sowie über einen raumgreifenden Schritt.
Elkadi II wurden zunächst Landbeschäler in Neustadt/Dosse.
Eboline kaufte ich tragend von dem Consul-Sohn Inkognito. Das Ergebnis dieser Anpaarung war ein Hengstfohlen, darauf folgte ein Stutfohlen von Marduc und im Jahr 1993 mit einem Hengst von Marduc ihr letztes Fohlen. Die äußerst fruchtbare Stute brachte im Verlauf von
fünfzehn Zuchtjahren vierzehn Fohlen, wobei sie nebenbei als Gespannpferd ebenfalls stark beansprucht wurde. Ich holte sie 1991 direkt von der Redefiner Hengstparade ab, bei der sie in einem spektakulären Schaubild in dem Ganschower Mehrspänner als Tetenpferd ging.
Elkadis Abstammung geht über seinen Vater Trafaret über den Zweig des Hirtensang auf den früheren Hauptbeschäler Trakehnens Parsival zurück. Der polnische Hirtensang-Sohn Celsius gehörte dem bei Kriegsende aus Ostpreußen zunächst nach Hunnesrück in Niedersachsen geretteten Junghengstjahrgang an, wurde dann aber als überzählig nach Polen abgegeben. Sein dort aus einer Polarstern-Tochter gezogener Sohn 8 Achmad 3166 ging im Zuge eines Gen-Austausches in das russische Staatsgestüt Kirow. Durch ihn blieb auch dort die wertvolle Hirtensang-Linie erhalten. Der in Kirow gezogene und schon als Fohlen in die DDR importierte Trafaret gehörte dieser Linie an.
Die mütterliche Abstammung Elkadis ist stark geprägt durch Falstaff (gezogen 1968 in Ganschow a. d. Faschingsfest von Faschingszauber), den Vater der Mutter: Ersichtlich einerseits in der Schimmelfarbe seiner Tochter Eboline als auch durch seine Cancara-Blutführung. Der 1939 in Trakehnen geborene Schimmel Faschingszauber von Hirtensang u. d. Faschingsnacht v. Pretal xx war der mütterliche Halbbruder des Fetysz ox-Sohnes Famulus, der zum Begründer, hauptsächlich über den Sohn Maharadscha, einer der einflussreichsten Linien der Gesamtzucht wurde. Faschingszauber hinterließ der Zucht leider nur die Tochter Faschingsfest. Falstaff war zwei Jahre an das russische Gestüt Kirow ausgeliehen. Um die Cancara-Linie wieder aufleben zu lassen, wurde er stark eingesetzt und hinterließ der dortigen Zucht mehrere gekörte Söhne. Hervorzuheben sind die beiden Schimmel Efir und Halif, beide aus Ostrjak-Töchtern. Ostrjak war ein Enkel des bedeutenden Trakehner Hauptbeschälers Pilger.
Im Jahr 2017 entdeckte das Ehepaar Bruch vom Gestüt Wevert in Weißrussland einen Schimmelhengst, der die Trakehner-Züchterschaft aufhorchen ließ. Er führt beide genannten Falstaff-Söhne im Pedigree. Sie erwarben den Hengst, der unter dem Namen Göteborg die in ihn gesetzte Hoffnung, auch über ihn die Linie des Cancara im Mannesstamm wieder aufleben zu lassen, mit zwei gekörten Söhnen schnell erfüllte. In der westdeutschen Trakehner-Zucht war Cancara lediglich über seine beiden Töchter Kokette und Donna erhalten geblieben. Letztere konnte eine stark verbreitete Familie gründen. Eine kleine Ausnahme bildete der Schimmelhengst Cancara II v. Cancara, der in vier Zuchtjahren zwei eingetragene Töchter stellen konnte.
1994 zog ich mit meinen Pferden nach Mecklenburg um und einige Jahre später besuchte uns in Crivitz an einem Sonntagmorgen das Ehepaar Gusovius, das unterwegs zur Hengstparade in Redefin war. Joachim Gusovius, damaliger Zuchtleiter der neuen Bundesländer, erwähnte beiläufig, dass der Neustädter Landbeschäler Elkadi II ausgemustert werden sollte und riet uns nachdrücklich, den Hengst zu uns zu holen.
Wir hatten gerade den Verlust unseres Karo As zu beklagen, brauchten folglich einen Hengst und so fuhren Christine Achtmann und ich wenig später ins brandenburgische Haupt- und Landgestüt Neustadt/Dosse. Mit dem Leiter Dr. Müller waren wir uns schon vorher telefonisch einig geworden, sodass Elkadis Umzug nach Crivitz bereits feststand. Als wir seine Box öffneten, war es für Christine „Liebe auf den ersten Blick“. Das besondere Verhältnis der beiden sollte in den kommenden acht Jahren immer inniger werden. Züchterisch erfüllte der Hengst unser in ihn gesetztes Vertrauen voll und ganz. Er war kein gänzlich unbeschriebenes Blatt für uns: Sein Vater Trafaret deckte zuvor zwei Jahre in Wörme. Seine Mutter Eboline war mehrere Jahre in unserer Stutenherde zu Hause.
Die Zuchtnutzung Elkadis dauerte leider nur vier Jahre an, danach machte ihm eine altersbedingte Arthrose zu schaffen, sodass er schließlich nicht mehr im Natursprung decken konnte. Er führte dann noch weitere vier Jahre ein umsorgtes Rentnerdasein bei uns. Die Fütterung mit Ingwer linderte ihm die Gelenkschmerzen und so genoss er merklich den täglichen Spaziergang in seinem Auslauf. Welch gutartigen, freundlichen Charakter dieser Hengst hatte, zeigte allein schon seine Freundschaft zu dem mutterlosen Stutfohlen Marjellchen (heute Prämienstute v. Marduc), welches zufällig in seinen Auslauf geriet und sofort von ihm adoptiert wurde. Sogar bei der Fohlenschau wurde das unzertrennliche Gespann zusammen vorgestellt.
Mit inzwischen 28 Jahren kam der schmerzvolle Abschied von Elkadi. Wir mussten ihn von seinen immer stärker werdenden Beschwerden erlösen lassen. Er hinterließ uns viele gute Pferde für Sport und Zucht. Der wohl bekannteste ist Traumprinz aus der Prämienstute Terra Prussia TN v. Graciano, der unter französischer Flagge im internationalen Militarysport im 4*-Bereich siegreich unterwegs war und auch an der Europameisterschaft im polnischen Sztregom teilnahm. Larius, dem letzten Hengstfohlen unserer erst kürzlich eingegangenen Elkadi-Tochter Prämienstute Lara TN, wäre eine ähnliche Karriere wie Traumprinz zuzutrauen, sofern er in die richtigen fördernden Hände geriete.
Die FN-Zuchtwertschätzung Turniersport 1997 wies Elkadi als den zweitbesten Trakehner nach Caanitz und bundesweit aller Rassen unter den Top 100 der Springvererber aus. Damit setzte er die Tradition seiner Vaterlinie fort.